Es gibt Filzpatschen und Filzpatschen

Nein, das Filzreich bietet keine Filzpatschen zum Verkauf. Aus einem einfachen Grund: sie zu filzen, getreu der Methode der Gründerin, gestaltet sich sehr zeitaufwändig und der Meister der Münze hat bis dato keinen adäquaten Preis kalkulieren können, den das Gewissen der Gründerin, ohne rot anzulaufen, vertreten könnte. Wohl ist der Materialeinsatz vergleichsweise gering, jedoch die aufzubringenden Arbeitsstunden abzugelten wäre schlichtweg – zumindest in hiesigen Steuerlanden – zwar nicht eben unmöglich, aber zweifellos errötend schamlos. Bis nämlich ein ansehnliches Paar Patschen gemäß Filzreich-Qualitätsstandards die Manufaktur verlassen darf, braucht es schließlich sage und schreibe sechs Stunden. Erlauchte Kaffeepausen exklusive. Wasser- und Energiekosten exklusive. Anteilige Sondereinzelkosten der Fertigung exklusive. Zum Beispiel Spezialwerkzeug wie Walkholz oder Ballbrause. Trotzdem werden in der filzreichschen Manufaktur immer wieder Fußschmeichler hergestellt. Aus vielerlei Gründen: Solidarität mit den Kaltfüßigen. Leidenschaft. Krafttraining. Freude. Mangels adäquater Alternativen.

Wieso gut Schuh Weile braucht

Patschen filzen ist keine Larifari-Arbeit. Alles beginnt damit, dass die Wolle gewogen werden muss. Für ein Paar Filzpatschen der Schuhgröße 40 braucht es pro Schuh exakt 90 Gramm Wolle. Nicht mehr. Nicht weniger. Die Wolle auf dem Bild mit den Käsepatschen entspricht genau der Menge für EINEN Schuh in der Größe 40. Echt viel Wolle. Und jede Farbe wird natürlich absolut exakt bis auf die erste Gramm-Kommastelle gewogen. Währenddessen sorgt übrigens der filzreichsche Heizmeister für die optimale Befeuerung des Ofens und dafür, dass ausreichend Wasser aufgesetzt wird. Schließlich bevorzugt die Gründerin heißes Wasser für den Filzprozess. Das benötigte Material für den ersten Arbeitsschritt, das Auslegen und Nässen der Wolle, wird ebenfalls bereit gestellt. Es sind dies im Detail: Olivenseife, aus Marseille oder Algerien, eine Ballbrause, die originär von japanischen Bonsai-Gärtnern verwendet wird, sowie ein heißwasserfestes Behältnis.

Vorbereitung Patschen filzen
 

Neben den bereits angeführten Hilfsmitteln braucht es für ein solides Paar Filzpatschen auch eine passende Schablone. Diese wird meist aus dickem Schaumstoff, etwa einer Isomatte oder Trittschallfolie, geschnitten. Eine Schablone wird in der Regel einmalig angefertigt und ist wiederverwendbar.

Im ersten Arbeitsschritt wird nun die fluffige Schafwolle flächendeckend, etwas über den Rand ragend, auf der Schablone ausgelegt. In der filzreichschen Manufaktur wird übrigens immer mit der Oberseite des rechten Patschens begonnen. Ausnahmslos. Danach wird die trocken ausgelegte erste Wollschicht mittels Ballbrause nass und seifig gemacht, platt gedrückt und anschließend beherzt umgedreht.
 

Filzpatschen Wolle auslegen
 

Die überstehende Wolle wird eng über den Schablonenrand gelegt und das daraufhin entstandene „Loch“ wiederum mit trockener Wolle aufgefüllt. Anschließend wird sie nass und seifig gemacht. Und platt gedrückt. Und dann wieder trockene Wolle flächendeckend, etwas über den Rand ragend, auf der Schablone ausgelegt. Danach wird die trocken ausgelegte Wolllage mittels Ballbrause nass und seifig gemacht, platt gedrückt und anschließend beherzt umgedreht. Nein, die Schriftführerin hat nicht irrtümlich die Tasten  und C und flugs die Paste-Taste gedrückt. Und die schlaue Leserschaft hat’s vermutlich schon überzuckert: das gehört so und somit wird’s jetzt mehr oder weniger langweilig.
 
Wolle auslegen
 

Ab nun geht es genau so, siehe Absatz oben, Schicht um Schicht, Lage um Lage, behände weiter…
 
Wolle auslegen
 

Auslegen, wässern, plattieren, beherzt umdrehen… Auslegen, wässern, plattieren, beherzt umdrehen… Der Farbwechsel reißt die Gründerin manchmal aus der Monotonie… Auslegen. Nässen. Plattdrücken. Auslegen. Nässen. Plattdrücken. Kontemplativ könnte man dazu natürlich auch sagen. Oder meditativ. Oder einschläfernd. Offensichtlich so sehr, dass die filzreichsche Haus- und Hof-Fotografin den Farbwechsel darob verpasste und eine fotografische Fälschung nun als Platzhalter haus- und hofhalten muss.
 

Graue Wolle auslegen
 

Sind 90 Gramm Wolle gleichmäßig auf beiden Seiten – Oberseite und Sohle – verteilt, kein Gramm übrig, startet der nächste Arbeitsschritt und der eigentliche Filzprozess beginnt. Der Terminus technicus lautet: Anfilzen. Ziel ist es, die kleinen feinen Wollschuppen und Widerhäkchen, die sich zu tausendst auf den einzelnen Wollfasern befinden, anzuregen sich miteinander zu verbinden, zu verhaken, zu verheddern, auf dass sie sich verkeilen und nie wieder voneinander lösen lassen. Also im Prinzip passiert das, was in der Waschmaschine im Normalprogramm mit Ihrem Kaschmirpullover passiert, bloß kontrolliert. Und gewollt wird die Wolle sukzessive komprimiert und somit auch kleiner.
 

Anfilzen
 

Zum Anfilzen kann Werkzeug verwendet werden, wie auf der Fotografie ersichtlich ist. Es ist dieses Werkzeug aus Holz einem Gummistriegel für Rösser vergleichbar. Beim Filzen ist der Einsatz dieser Gerätschaft allerdings fakultativ. Die Hände tun’s auch. Es braucht in diesem Schritt in jedem Fall mehr Gefühl, als Kraft. Vergleichbar wiederum mit dem Striegeln von Pferden. Wann dieser Anfilzprozess fertig ist, verrät einem nicht das Licht, sondern die Erfahrung. Oder die so genannte Zupfprobe. Zu diesem Behufe wird versucht, mit zwei Fingern, diese pinzettenartig geformt, etwas Wolle abzulösen/abzuzupfen. Gelingt dies nicht: wunderbar! Weiter so! Für Sie: fahren Sie mit dem Lesen fort.

Angefilzte Wolle darf fakultativ trocknen

An diesem Punkt angelangt wird dem Werkstück in der filzreichschen Manufaktur eine Verschnaufpause gegönnt. Und mit dem zweiten, linken, Patschen begonnen. Nicht, weil eine Pause für den angefilzten Filzpatschenrohling nötig wäre, es könnte nämlich gleich weiter gefilzt werden. Es ist vielmehr eine Marotte der Gründerin, das angefilzte Teil trocknen zu lassen. Über die weiteren Gründe der Gründerin kann nur spekuliert werden. Am plausibelsten ist jene Erklärung, dass sie es partout nicht goutiert, nassen Filz zu schneiden. Was uns zum nächsten Arbeitsschritt führt, denn der Rohfilz muss aufgeschnitten werden. Warum? Um die Schablone zu entfernen. Bei beiden Schuhen – ja, zwischenzeitlich ist ohne Beisein von Paparazzis der zweite Schuh gefilzt worden. Same procedure as before. Und daher sind auf den Fotos fortan mitunter zwei Schuhe ersichtlich.

Die Schablone muss also zum jetzigen Zeitpunkt entfernt werden, sonst wäre sie kontraproduktiv für den Filzprozess. Wie bereits erläutert, soll die Wolle schrumpfen. Also sie schrumpft nicht wirklich, vielmehr verdichten sich die Fasern und dadurch „schrumpft“ der Filz. Um dies zu veranschaulichen, fehlt noch das Anschauungsmaterial und wir bitten gnädigst um Geduld. Würde die Schablone nicht entfernt werden, wäre sie schlicht und einfach im Weg und sie könnte nicht entsprechend, schrumpfenderweise, in Form gebracht werden. Wir wollen schließlich nicht nur Filzhüllen herstellen, sondern wollig-warme, perfekt geformte Filzpatschen, deren einzige Erfüllung darin besteht, Kaltfüßigen Wärme und Geborgenheit zu schenken. Sonst könnte man gleich Patschen aus Strickfilz anziehen… Oder gar Acryl… Die wärmen auch nicht. Und bieten auch sonst keinen Komfort.

Fast-Exkurs über das weiße Gold

Und mit diesem Unwort – Acryl – wurde die Büchse der Majestät geöffnet. Darob kann sie stundenlang parlieren, also nicht über Acryl sondern die majestätischen Eigenschaften der Schafwolle und im speziellen des Filzes. Der wiederum als gar einzigartiges textiles Flächengebilde aus einem chaotisch angeordneten Fasermaterial in der Fachliteratur beschrieben wird. Anders als zum Beispiel Walkstoffe, die zwar auch gefilzt, aber vorher gewebt werden. Deren Fasern werden nicht vom Chaos regiert. Die Schriftführerin erspart ihnen an dieser Stelle das Fachgeschwurbel der Gründerin und verfährt weiter im Text: einige Stunden später geht’s trockenen Fastpatschens auf in die nächste Halbzeit: zwei oder drei beherzte Schnitte in der Mitte und schon kann die Schablone herausgezogen werden.

 
Rohling wird aufgeschnitten

 
Ein passendes Paar Holzleisten wurde zwischenzeitlich ebenfalls aus dem Lager geholt und auch der Ofen wieder zu Höchstleistung angespornt. Jetzt braucht es Wasser. Brodelnd blubbernd hat es die Gründerin am liebsten. Für den nächsten Metamorphoseschritt braucht es im Prinzip und in der Praxis nichts außer Hitze und massig Kraft: die Filzrohlinge werden somit in heißes Wasser getaucht und sogleich geknetet, gedrückt und geschlagen wie ein Germteig vor Ostern. Oder Weihnachten. Fest und fester. Der Filz wird gleichzeitig fest und fester. Und schrumpft, die Wolle gleichsam komprimiert.
 

Walken

 

Die Erfahrung bringt mit sich zu wissen, wann der Patschenanwärter klein genug und gleichzeitig noch groß genug ist, um auf die Leiste zu passen. Tut er dies, kommt die gute alte Waschrumpel zum Einsatz. Gemeinsam mit dem so genannten Walk- oder Filzholz. Beide zusammen schonen die Hände und geben dem Filz den letzten Feinschliff und vor allem die Form. Schmiegt sich irgendwann der Filz so eng ans Holz, dass sich zwischen die beiden nicht einmal mehr eine Wolllocke drängen könnte, ist das Waschgerumple abgeschlossen. Der Schuhrohling wird von der Leiste befreit und gut ausgewaschen (kein Bildmaterial vorhanden), um sicherzustellen, dass keine Seife im Filz bleibt. Sie schadete auf Dauer dem Filz, würde ihn spröde und stumpf aussehen lassen. Dann kommt das schon nach Patschen aussehende Filzstück wieder auf die Leiste und wird in Essig gebadet. Um die allerletzten vermeintlichen Seifenreste zu neutralisieren.

 
Holzleiste und Waschbrett
 

Nun geht’s erst richtig ans Eingemachte. Gut Filz braucht nicht nur Weile, sondern vor allem und überhaupt mechanische Einwirkung. Um stabil, lange haltbar und formschön zu bleiben. Dazu nehme man: einen hölzernen Fleischklopfer oder im Notfall tut’s ein stinknormales Holzscheit ebenfalls. Und nun klopfen. Klopfen. Und noch mehr klopfen. Besonders gern wird in der Manufaktur im Rhythmus von Sweet Caroline geklopft. Noch so eine. Marotte. Lalala, reaching out, touching me, touching you… Sweet Caroline – oh oh oh – good times never seem so good!
 

Filz hämmern

 
Die geduldigen Leserinnen unter ihnen haben vermutlich bereits entdeckt, dass ihre Geduld belohnt wurde. Auf den letzten beiden Fotos ist auf einen Blick zu erkennen, was es bedeutet, wenn davon gesprochen wird, dass die Wolle, also der Filz, schrumpft.

Das große Filzfinale naht
Die fertig geklopften Patschen dürfen nun jedenfalls wieder rasten aka trocknen. Anschließend werden sie mit viel Geduld und noch mehr Kraft von den Schuhleisten abgenommen. Je mehr Kraft man hat, umso weniger Geduld wird benötigt. Das ist mitunter die herausforderndste Übung, da der Filz nach dem Klopfen noch enger an der Leiste „pickt“ als zuvor. Von den Leisten befreit, harren die fast fertigen Filzpatschen der weiteren Bearbeitung aus: Sauberes Schneiden der Patschenöffnung, Anbringen einer Ledersohle sowie einer Ziernaht. Gemäß Kreidemarkierung wird die Öffnung sauber geschnitten. Neben der geschlossenen Variante, wie auf dem Foto ersichtlich, ist es natürlich auch möglich den Fersenteil tiefer auszuschneiden.
 
Filz schneiden
 

Nun sind noch Sohle und Ziersaum ausständig. Nach der Wahl des farblich passenden Leders wird dieses geschnitten und angenäht. Meist. Sehr. Schmerzhaft. Vor allem die Spitze der Ledernähnadeln, deren Vorfahren vermutlich in mittelalterlichen Folterkellern gedient haben. Hand in Hand mit der Ahle. Die Stecknadeln nicht zu vergessen.

 
Ledersohle für Filzpatschen
 

Sohle gut, alles gut. Und als krönender Abschluss wird die geschnittene Öffnung bestickt. Dies aus optischen Gründen, da Filz sich ohnehin nicht auftrennen kann.
 
Ziersaum sticken
 
Da die Gründerin keine gleichmäßige Stichlänge zustande bringt, hilft ihr bei den Näharbeiten ein kleiner „Schummelfinger“. Und – Trommelwirbel – insgesamt sechs Arbeitsstunden später ist das Filzwerk vollbracht. Jedes Mal aufs Neue ist die Verzückung groß.

 
Wärmende Filzpatschen
 
Patschen filzen bleibt für die Gründerin ein großartiges Erlebnis. Von Paar zu Paar. Archaisch. Schön. Schöpferisch. Gut.







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