Wie ein Wiener Mädl Rohwolle wäscht

Über kurz oder lang kommt fast jede Filzerin in Kontakt mit Wolle frei Schaf. Vor allem, wenn sie ländlich wohnt. Schafhalter sind sehr kooperativ wenn’s drum geht das geschorene Abfallprodukt (ja, leider!) loszuwerden. In unseren Breiten ist es – dem Hörensagen nach – nämlich mit weniger Aufwand verbunden die Rohwolle zu kübeln, als querland zu kutschieren, um im Gegenzug ein paar zerquetschte Centmünzen dafür zu bekommen. Die Herausforderung ist allerdings das Geschorene sauber zu bekommen. Denn egal, ob Schäfchen auf der Heide oder im Stall (letzteres zieht wohlgemerkt Hardcore-Dreck mit sich), wird die Rohwolle ab Hof mit diversen Einschlüssen abgegeben. Da hätten wir namentlich diverses „Gemüse“ (wie Halme, Blüten, Gräser…), sämtliche Ausscheidungsprodukte (wie Pippi, Kot und Wollwachs aka Lanolin), Erdklumpen sowie Klein- und Kleinstgetier. Und das muss alles weg, sofern die Wolle gesponnen oder kardiert (= gekämmt) werden soll. Mir stellte sich daher die Frage, wie ich das zeit- und wassersparend über die Bühne bringe.

Denn: nach anfänglich sehr aufwändigen Verfahren in Badewanne, Regentonne und Waschmaschine mit diversen Wollwaschmitteln, Waschsoda und unter Zuhilfenahme von hektoliterweise Wasser, resignierte ich. Nicht wegen Misserfolgs, denn die Rohwolle wurde definitiv sauber. Aber: der zeitliche sowie Ressourcenaufwand war exorbitant hoch. Und dann tat ich das, was eine kluge Ex-Journalistin tut: recherchieren. Und stieß im Internet auf die sogenannte Rohwoll-Fermentation. Ein Verfahren, das mein Zeit- und Ressourcenmanagement jubilieren ließ. Braucht es dazu nämlich nicht mehr als einen großen Behälter, Wärme und eine einmalig zugeführte, vergleichsweise stark reduzierte Wassermenge.

In praktischen Worten:
Die Stinkewolle in einen großen Mörteltrog (Wanne, Tonne, Wasserschaffel etc.) verfrachten, bei unterschiedlichen Rohwollen eventuell in separate Netz-Erdäpfelsackerln (Anm. für die nichtösterreichische Leserschaft: netzartige Kartoffeltüten) oder Wäschesackerl (Wäschenetze, -beutel) packen. Dann entweder mit Regen- oder Brunnenwasser auffüllen (Leitungswasser zur Not) wobei der Wasserstrahl nicht direkt auf die Wolle gerichtet sein soll (Verfilzungsrisiko), anschließend zudecken. Das ist wichtig, damit sich kein sonstiges Getier (Fliegen oder ähnliches) in dem Kübel breit macht und Eier legt.

 
 
Dann heißt’s: auf die Plätze, Fermentation, los!
Unter der Voraussetzung, dass das Procedere im Sommer bei mindestens 22 Grad erfolgt. Direkte Sonneneinstrahlung ist in jedem Fall und unbedingt erwünscht. Was dann passiert, weiß der Chemiker allein! Alles, was ich dazu schreiben kann ist, dass an der Rohwolle irgendwelche Mikropartikel haften – woher die kommen, wohin sie gehen, wer weiß das schon – und diese wiederum irgendwelche mikrobiellen oder enzymatischen Umwandlungsprozesse anleiern. Für meine pragmatische Ader bedeutet es jedenfalls: irgendwelche Minitierchen machen wilde Sachen, die mir mächtig Freude machen. Weil? Die den Dreck irgendwie zersetzen und das Wollfett von der Wolle lösen.

Nach einer Woche bei 32 Grad und strahlendstem Sonnenschein stinkt der Hexenkessel bereits zum Hinkelsteinerweichen und weißgelbliche Partikel treiben an der Oberfläche. Gut mitgedacht, es ist das Lanolin. Die Wolle sieht, zugegeben, ziemlich ekelhaft aus. Ehrlicherweise war ich beim ersten Mal skeptisch und zwar mächtig. Weil jedoch gut Ding angeblich Weile braucht, widerstand ich meinem inneren Drang die Brühe zu entsorgen und Frischwasser zuzuführen. Es hat sich gelohnt.

 
 
Nach ein paar weiteren Tagen habe ich eine kleine Probe entnommen. Nachdem sogar an den Wollspitzen keine Verklebungen mehr festzustellen waren und sich nicht mehr fettig angefühlt haben, habe ich die Wolle gespült. Dazu gab ich sie in eine Gitterkiste und duschte sie ab – Schlaucheinstellung Kategorie „wenig Druck“ und „Sprühregen“. Je höher der Druck des Wasserstrahls, umso größer die Reibung und die Wolle könnte verfilzen.

 
 
Anschließend auflockern, nach Verfügbarkeit/Belieben in die Wäscheschleuder und trocknen lassen. Der Güllegeruch verflüchtigt sich rasch. Wenn die Wolle nicht stundenlang in der Sonne liegt, darf sie auch bei direkter Sonneneinstrahlung aufgelegt werden (sie würde sonst im schlimmsten Fall brüchig). Und hier das strahlende Ergebnis, als hätte sie ein weißer Riese gewaschen.

 
 
Bevor ich’s vergesse:
Ich habe das Stinkewasser nicht gekübelt, sondern in die Brühe gleich den nächsten Schwung Rohwolle gesteckt. Der Vorteil ist, dass der Fermentationsprozess dann offenbar schon in Gange ist und die zauberhafte Waschung schneller vor sich geht. So wasche ich nun schon seit Jahren meine Rohwolle und spare Ressourcen (Wasser, Kraft und Zeit) und gleichzeitig kann ich auf den Einsatz von Waschmittel verzichten. Außerdem wird die Wolle im weiteren Filzreichschen Verarbeitungsprozess ohnehin „gewaschen“, schließlich filzt es sich bekanntlich mit warmen Seifenwasser besser. Daher hat von meiner Seite aus betrachtet die Rohwoll-Fermentation das Prädikat „wertvoll“ verdient!







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